Coachingnachfragen und Coachingangebote erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Die auf dem Markt zur Verfügung stehenden Ansätze sind vielfältig. Wir halten das systemische Coaching für die geeignetste Coachingform, um den aktuellen Herausforderungen einer hochwechselhaften, unsicheren, sehr komplexen und vieldeutig interpretierbaren Welt zu begegnen. Warum?
Im ersten Draufschauen sieht man bei dem systemischen Coaching nichts anderes als bei anderen professionellen Anbietern auch. Systemisches Coaching unterscheidet sich nicht von anderen professionellen Coaching Verfahren in Bezug auf die angestrebte Augenhöhe zwischen Coachee und Coach. Die Lösungen werden nicht vorgegeben, sondern entstehen durch die gemeinsamen Reflektionen. Es ist kein Training, kein Mentoring. Es handelt sich vielmehr – wie bei den meisten professionellen Coachingverfahren- um einen strukturierten, zielorientierten Prozess, der zeitlich begrenzt ist. Die Themen ranken sich wie bei anderen Coaching Verfahren um aktuelle Anliegen, Entscheidungen, Lösung von Konflikten, Sinnfragen, und Karriere-Entscheidungen.
Beim zweiten Draufschauen verändert sich das Bild einschneidend:
Systemisches Coaching ist als Form der Beratung in der aktuellen Welt besonders hilfreich, da der Coachee dadurch im Mittelpunkt steht, dass er immer als Teil eines Systems gesehen wird. Um diese Sichtweise im systemischen Coaching systematisch zu nutzen, dient das systemische Weltbild. Kurz zusammengefasst geht dieses Weltbild von folgenden Annahmen aus: es gibt für einen systemischen Coach nicht die Wahrheit, sondern verschiedene Wirklichkeiten. Jeder konstruiert sich seine Wirklichkeit. Auch wenn ich es im ersten Moment nicht wahrhaben will, alles was gesagt wird, wird immer von einem Beobachter gesagt. Das gilt für den Coachee und für den Coach. Es gibt kein falsch oder richtig. Falsch und richtig ist abhängig von der jeweiligen Perspektive. Durch diese bewusst eingenommenen Perspektiven der verschiedenen Systemelemente entstehen Unterschiede. Und diese Unterschiede sind das eigentliche Gold des systemischen Coachings. Durch diese Unterschiede gelingt es, im Wechselspiel zwischen Coachee und Coach neue Sichtweisen und Erkenntnisse zu sammeln. Damit sind wir bei den wichtigsten Vorteilen gegenüber anderen Coaching Verfahren:
- Die Schaffung von sehr viel mehr Erkenntnismöglichkeiten durch die Betrachtung der Zusammenhänge, und die Betrachtung der Wechselwirkungen der Bestandteile des Systems aus unterschiedlichen Perspektiven. Es ist ein großer Vorteil das gesamte Mobile (= Spiel) im Zusammenspiel der Elemente aus verschiedenen Blickrichtungen anzuschauen als nur ein Element des Mobile.
- Die Klärungshilfe durch das Bewusstwerden von blinden Flecken. Die blinden Flecken, die nur durch die gezielt gesteuerten Perspektivwechsel und die darüber deutlich werdenden Unterschiede sichtbar werden.
- Die Möglichkeit durch Perspektivwechsel in der Vielfalt von Informationen und Sichtweisen, Muster zu entdecken, wo vorher nur durcheinander und Informationsflut war.
Dieses Weltbild und die damit entstehenden Unterschiede machen die Auftragsklärung im systemischen Coaching bereits zu einer Intervention. Wer gehört zum System, wer oder was gehört in das relevante Umfeld, was wird vom Coachee ungewusst ausgeblendet, vom Coach aber wahrgenommen. Die ersten Unterschiede werden fruchtbar gemacht: es werden Arbeitshypothesen für das weitere Coaching entwickelt. Aber es können immer nur Hypothesen, keine Wahrheiten sein, denn das würde ja dem systemischen Weltbild widersprechen. Ist die zu klärende Frage mit der der Klient kommt die nützliche Frage? Oder verändert sie sich aus unterschiedlichen eingenommenen Systemperspektiven für den Coachee?
Bei jedem folgenden Coachingtreffen werden die Hypothesen im Sinne der Zielerreichung des Klienten überprüft: Auftragsklärung wird damit zu einem den Coaching Prozess kontinuierlich begleitenden Prozess. Der Auftrag und die Arbeitshypothese können sich ja im Lichte gemachte Erfahrungen vollkommen verändern.
Wichtig ist, dass der Coach das „Wie“ des Coachings prägt. Das „Was“ wird im Kern von dem Coachee und der Interaktion zwischen Coachee und Coach gefüllt. Das was dem Coachee hilft, ist richtig. Die Offenheit für diese Veränderung ist zentraler Bestandteil und Stärke des systemischen Coachings, da ja davon ausgegangen wird, dass Wahrheiten nicht existieren. Dies gilt, auch wenn der Coach für sich eine vollkommen andere Auffassung des Problems und der möglichen Lösung hat.
Das „Wie“ im systemischen Coaching wird sehr stark durch eine Fülle von systemischen Fragetechniken geprägt. Insbesondere zirkuläre Fragen, die helfen systematisch einen Perspektivenwechsel zu ermöglichen, sind hier als besonderer Vorteil des systemischen Coachings zu nennen. Bei den zirkulären Fragen wird der Coachee aufgefordert, nicht sich zu beschreiben, sondern sich zu beschreiben wie er aus Sicht anderer gesehen wird. Der Coachee wird zum Beobachter seiner selbst in dem als relevant definierten System. Er sieht sich als Teil des Mobiles. Der Coachee kann hin und herspringen zwischen der Wahrnehmung seiner selbst und seiner selbst als Bestandteil des Mobiles, sowie sich anschauen aus der Sicht der anderen Mobile-Elemente. Neue Welten tun sich auf!
Nun ist das alles kein Selbstgänger. Wie bei anderen Coachingverfahren steht und fällt das Verfahren mit der Person, die es anwendet. Und gerade das systemische Coaching ist nicht sofort intuitiv zugänglich. Es braucht eine systemische Coachingausbildung und ein kontinuierliches Training des systemischen Denkens. Es bedarf auch des Trainings der systemischen Coachingtechniken im Coaching-Prozess. Und es ist eine Herausforderung an den Systemischen Coach, Bescheidenheit im Umgang mit den eigenen Wahrnehmungen zu üben. Nur dann werden die beschriebenen Wahrnehmungsschätze gehoben werden können.