Unser Gehirn ist erstaunlich anfällig für subtile Einflüsse, die unsere Entscheidungsfindung beeinflussen können. Einer dieser Einflüsse ist der sogenannte Anchoring-Effekt. Dabei neigen wir dazu, uns bei der Beurteilung einer Situation oder eines Werts an einer bestimmten Referenzzahl zu orientieren, selbst wenn sie irrelevant oder willkürlich ist.

Ein klassisches Experiment von Daniel Kahneman und Amos Tversky illustriert den Anchoring-Effekt: Teilnehmende wurden gebeten, die letzten Ziffern ihrer Sozialversicherungsnummer anzugeben und anschließend einen Geldbetrag zu nennen, den sie für ein bestimmtes Gut oder eine Dienstleistung zu zahlen bereit wären. Interessanterweise zeigte sich, dass Personen mit höheren letzten Ziffern ihrer Sozialversicherungsnummer höhere Beträge angaben. Die Zahl, die eigentlich keinerlei Zusammenhang mit dem Wert des Gutes hatte, beeinflusste dennoch ihre Preisvorstellung.

Dieses Phänomen ist auch im Alltag weit verbreitet. Denken wir zum Beispiel an den Verkauf eines Autos. Wenn der Verkäufer den Preis zuerst hoch ansetzt und dann nach unten verhandelt, werden Käufer oft dazu geneigt sein, den reduzierten Preis als Schnäppchen anzusehen, obwohl er möglicherweise immer noch höher ist als der eigentliche Wert des Fahrzeugs.

Noch ein Beispiel für den Anchoring-Effekt:

Stellen wir uns vor, wir gehen in ein Elektronikgeschäft, um einen neuen Fernseher zu kaufen. Wir haben bereits eine Vorstellung davon, wie viel wir bereit sind, dafür auszugeben. Beim Betreten des Geschäfts fällt uns ein hochwertiger Fernseher ins Auge, der mit einem Preisschild von 3000 Euro ausgezeichnet ist. Obwohl wir denken, dass dieser Preis zu hoch ist, bleibt er dennoch als Anker in unserem Kopf präsent.

Wir suchen weiter im Geschäft und finden schließlich einen ähnlichen Fernseher, der mit 2500 Euro ausgezeichnet ist. Obwohl wir vorher nicht bereit gewesen wären, so viel auszugeben, erscheint uns dieser Preis nun im Vergleich zum ersten Fernseher als deutlich günstiger. Wir sind geneigt, den zweiten Fernseher als Schnäppchen anzusehen, obwohl wir nicht bewusst vergleichen, ob er seinen Preis tatsächlich wert ist.

Der Anker von 3000 Euro hat unsere Wahrnehmung und Preisvorstellung beeinflusst. Selbst wenn der tatsächliche Wert des Fernsehers viel niedriger sein könnte, haben wir durch den Anker eine neue Preisspanne akzeptiert und betrachten den Preis von 2500 Euro nun als attraktiv.

Diese Beispiele verdeutlicht, wie der Anchoring-Effekt in Verkaufs- und Preisverhandlungssituationen eingesetzt werden kann. Durch geschickte Platzierung eines hohen Ankers können Verkäufer die Wahrnehmung der Käufer beeinflussen und sie dazu bringen, höhere Preise zu akzeptieren, als sie ursprünglich bereit waren zu zahlen.

Indem wir uns des Anchoring-Effekts bewusst sind, können wir uns in solchen Situationen besser vor manipulativen Einflüssen schützen und unsere Entscheidungen auf objektiven Bewertungen basieren lassen.

Um den Einfluss des Anchoring-Effekts im Geschäfts- und Alltagsleben zu minimieren, gibt es einige Empfehlungen, die helfen können:

  1. Bewusstsein entwickeln: Informiere dich über den Anchoring-Effekt und wie er funktioniert. Je mehr du über diese kognitive Verzerrung weißt, desto besser kannst du sie erkennen und ihr entgegenwirken.
  2. Alternativen in Betracht ziehen: Frage dich selbst, ob der präsentierte Anker tatsächlich relevant ist und den Wert oder die Bewertung der Situation angemessen widerspiegelt. Betrachte verschiedene Perspektiven und alternative Referenzpunkte, um eine objektivere Entscheidung treffen zu können.
  3. Vorherige Recherche: Bevor du in Verhandlungen eintrittst oder eine Kaufentscheidung triffst, solltest du dich gründlich über die Preise und Werte vergleichbarer Produkte oder Dienstleistungen informieren. Dadurch kannst du unabhängig vom präsentierten Anker eine fundierte Entscheidung treffen.
  4. Verhandlungen vorbereiten: Wenn du in Verhandlungen involviert bist, sei dir bewusst, dass der erste vorgeschlagene Preis oder die erste genannte Zahl nicht automatisch die Basis für weitere Verhandlungen sein muss. Versuche, den Fokus auf objektive Kriterien und faire Bedingungen zu legen, anstatt dich von einem starken Anker beeinflussen zu lassen.
  5. Zeit nehmen: Lass dich nicht von schnellen Entscheidungen oder Druck beeinflussen. Nimm dir die Zeit, die du brauchst, um eine Situation oder ein Angebot objektiv zu bewerten. Vermeide es, dich von den Ankerpunkten anderer Personen beeilen oder drängen zu lassen.
  6. Emotionen kontrollieren: Sei dir bewusst, dass der Anchoring-Effekt oft auf emotionalen Reaktionen basiert. Versuche, deine Emotionen zu kontrollieren und auf rationale Überlegungen zu setzen, um fundierte Entscheidungen zu treffen.

Der Anchoring-Effekt ist ein faszinierendes Phänomen, das uns zeigt, wie unsere Wahrnehmung und Urteilsfähigkeit von scheinbar irrelevanten Informationen beeinflusst werden können. Indem wir uns seiner Existenz bewusst sind und kritisch denken, können wir unsere Entscheidungsfindung verbessern und unerwünschte Einflüsse minimieren.