In dem Beitrag „Systemisches Coaching – ein weißer Schimmel?“ wird Prof. Dr. Hans-Jürgen Balz, Diplom-Psychologe und lehrender Coach, die Erfolgsgeschichte des systemischen Coachings mit einhergehenden kritischen Beiträgen zur Profilschärfe und ihrer Wirksamkeit betrachten. Der Begriff „systemisch“ werde von Kritikern und Autoren zunehmend angezweifelt. Die inflationäre Nutzung, eine fehlende Profilschärfe, mangelnde Standards für die Coaching-Praxis und -Weiterbildung sowie überhöhte Heilsversprechen seien Beweggründe der Kritik verschiedenster Autor*innen.
Aus diesem Grund ist es Herrn Balz ein Anliegen, den Stellenwert systemischer Grundlagen und Methoden für das Coaching zu betrachten und aufkommende Fragen zur Weiterentwicklung des systemischen Ansatzes im Coaching zu diskutieren.
Zunächst wird in seinem Beitrag durchleuchtet, was Coaching als Beratungsangebot auszeichnet und wie sich die Attraktivität und der inflationäre und unspezifische Gebrauch des Wortes „systemisch“ auf dem Coaching Markt erklären lässt. Dazu werden von Balz verschiedene Thesen formuliert, um abschließend zu bewältigende Herausforderungen für den systemischen Ansatz in der Coaching-Praxis sowie -Weiterbildung zu erörtern.
Bedeutung des systemischen Ansatzes im Coaching
Die Gründe für die Attraktivität und einen verstärkten Gebrauch des Wortes „systemisch“ lassen sich suchen in: 1. marktwirtschaftlichen Argumenten, 2. einer gegenstandsspezifischen Begründung und 3. methodenorientierten Überlegungen.
Marktwirtschaftliche Gründe
Coaching stelle einen sich ausweitenden Markt dar, in dem Beteiligte in der Konkurrenz nach Alleinstellungsmerkmalen streben (Gross & Stephan, zitiert nach Balz, 2019). Hier könne das Wort systemisch einen Werbevorteil verschaffen. Da soziale Dienstleistungen auf dem Wirksamkeitsversprechen der Anbieter aufbauen, wäre dies auch ohne eine entsprechend qualitativ hochwertige und wirksame Dienstleistung möglich. Ein inflationärer und unspezifischer Gebrauch würde das Label „systemisch“ jedoch entwerten. Das Argument, in der Konkurrenz einen Vorteil mit der Bezeichnung systemisch zu erreichen, erscheint Balz insofern wenig plausibel.
Eine gegenstandsspezifische Begründung
Für den systemischen Ansatz spreche, dass er in einem auf Vielfalt von Tools und Label ausgerichteten Coaching-Markt ein integriertes theoriebasiertes Konzept bietet. Es handle sich dabei um vier zentrale Elemente, die für das Handeln des Coaches bedeutend seien:
„1. eine Theorie über Organisationen und die Wechselwirkungen mit ihren Umwelten,
2. ein Konzept zur Erklärung und Ausgestaltung menschlicher Kommunikation und Entwicklung,
3. ein Prozessverständnis zum Coaching-Verlauf (Beziehungsgestaltung, Auftragsklärung, Reflexionsarbeit u. a.),
4. eine Methodik, die den allgemeinen Zielen des Coachings und den spezifischen Anliegen der Klienten dient (Fragen, Kommentare, darstellende Methoden u. a.).“
Auch sei die praktische Erfahrung in der Arbeit mit komplexeren sozialen und organisationalen Strukturen und Situationen eine besondere Ressource für das Coaching.
Methodenorientierte Überlegungen und über die Attraktivität des systemischen Ansatzes
Die Attraktivität des systemischen Ansatzes liege wie so oft gedacht nicht nur im methodischen Instrumentarium der vielfältigen systemischen Fragen, sondern in der Verknüpfung von Theorie und Praxis für verschiedene Felder beratender Tätigkeiten. Da der systemische Ansatz in der Familientherapie seinen Ursprung findet und zahlreiche Methoden im psychosozialen Bereich beheimatet sind, stellen sich Transferfragen hinsichtlich der Anwendungsmöglichkeiten im Coaching und seiner Wirksamkeit im betrieblichen Kontext. Balz (2019) zitiert in diesem Sinne Greif mit seinem Wirksamkeitsmodell für das Coaching, das aus den folgenden 7 Faktoren besteht:
- „Wertschätzung und emotionale Unterstützung
- Affektaktivierung und -kalibrierung
- Ergebnisorientierte Problemreflexion
- Ergebnisorientierte Selbstreflexion
- Zielklärung
- Ressourcenaktivierung und
- Umsetzungsunterstützung“ (Greif, zitiert nach Balz, 2019)
Greif (zitiert nach Balz, 2019) fordere eine stärkere Kooperation von Wissenschaft und Coaching-Praxis. In diesem Zusammenhang könnten systemische Weiterbildungsinstitute kompetente Kooperationspartner für Fragen des Theorie-Praxis-Transfers, beispielsweise zum Kompetenzerwerb angehender Coaches, zur Wirksamkeitsforschung und bei neuen Themenfeldern sein. Sie wären gefordert, gemeinsame Grundlagen des systemischen Verständnisses von Coaching und Weiterbildungscurricula zu formulieren.