In unsere Reihe Wissenschaft trifft Wirtschaft präsentieren wir in diesem Monat die wissenschaftlichen Ergebnisse einer Befragung. Die Studentin Hendrikje Jungandreas hat sich dem Thema „Welche Kompetenzen benötigen Führungskräfte in der Krise?“ im Rahmen ihrer Masterarbeit gewidmet. Das Systemische Institut Hamburg und andere Unternehmensberatungen haben sie in ihrer Forschung unterstützt und das Wissen aus der Praxis in einem Interview mit der Studentin geteilt.
Der Zeitpunkt, um sich die Frage nach den veränderten Führungskompetenzen in Krisenzeiten zu stellen, könnte nicht besser sein. Die letzte weltweite Krisensituation war die Weltwirtschaftskrise, die bereits über ein Jahrzehnt zurückliegt. Seither verändert sich unser Führungsverständnis im Zuge der fortschreitenden Globalisierung und des Wertewandels in Organisationen zunehmend.
Die Fragestellung der Masterarbeit lautete, welche Führungskompetenzen im Hinblick auf die Corona-Krise erfolgsversprechend sind und ob agile Führung die Antwort auf diese Herausforderungen darstellen kann. Im Rahmen der Forschung ist ein Kompetenzmodell für Führung in der Krise entstanden:
Im Zuge der Forschungsergebnisse konnten die folgenden Kernkompetenzen für Führung in Krisenzeiten ableitet werden. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass sich die erfolgskritischen Führungskompetenzen durch die Krise nicht maßgeblich verändern, aber in ihrer Intensität zunehmen.
Den Kern des Modells stellt die Selbstführungskompetenz dar, da die persönliche Haltung die Grundlage des Handelns ist und sich auf alle weiteren Kompetenzen auswirkt. Das Modell zeigt folglich eine Innenperspektive, die nach außen auf die Umfelder, die Beziehungen und das eigene Handeln der Führungskraft wirkt. Die Selbstführungskompetenz ist entscheidend, um die Beziehung zum eigenen Selbst und zu anderen Menschen zu gestalten. Es geht dabei um die Selbstreflexion des eigenen Handelns, die Selbstorganisation der eigenen Ressourcen, die Haltung in Bezug auf das Mindset, die Einstellungen und Wertvorstellungen. In der Krise geht es darum tragfähige Beziehungen zu den eigenen Mitarbeiter*innen aufzubauen. Dies gelingt der Führungskraft nur, wenn eine wirkungsvolle Beziehung zum eigenen Selbst besteht. Um dem Stress der Krisensituation entgegenzuwirken, braucht es eine starke Selbstführungskompetenz. Selbstfürsorge hilft der Führungskraft nach Außen stressreduzierendes Verhalten zu zeigen, um so auch den Mitarbeiter*innen Wege aufzuzeigen, mit der Angst und der Unsicherheit umzugehen. Dabei sollte die Führungskraft Zuversicht ausstrahlen und sich in Achtsamkeit üben. Die Führungskraft sollte in der Lage sein, sich selbst zu entschleunigen und nicht auf Reize zu reagieren, um gleichzeitig handlungs- und entscheidungsfähig zu bleiben. Mit einer starken Selbstreflexion gelingt es, das eigene Handeln zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen.
Weiterhin hilft eine ressourcen- und lösungsorientierte Sichtweise, um den Fokus weg von Defiziten und Problemen zu lenken. In diesem Sinne befähigen die zwei weiteren personalen Kompetenzen die Führungskraft dazu, die Umfelder zu verändern, wie z.B. das Organisationsumfeld oder das Teamumfeld. Eng verbunden mit der Haltung der Führungskraft ist die Veränderungskompetenz. Mit Hilfe dieser kann sich die Führungskraft selbst und auch ihre Umfelder verändern. Sie erfordert, dass eine Führungskraft sich flexibel auf neue Sachverhalte einlassen kann, alte Reaktionsmuster loslässt und die Chancen im Zustand der Krise erkennt.
Bedeutsam in der Krise ist auch die Coachingkompetenz einer Führungskraft. Wichtig ist, dass sie den Mitarbeiter*innen nicht nur hilft ihre Stärken zu entwickeln und sie bei ihrer Karriereentwicklung unterstützt, sondern sie auch im Umgang mit ihren Ängsten in der Krise begleitet. Als Coach hört die Führungskraft aktiv zu, stellt zieldienliche Fragen und schärft das Bewusstsein des Einzelnen für die eigenen blinden Flecken. Zudem gibt sie ressourcenorientiertes Feedback, welches die Entwicklung des Einzelnen fördert und zu konkreten Handlungen anregt. Mit Hilfe stark ausgeprägter sozialer Kompetenzen kann die Führungskraft die Beziehungen zu anderen Menschen gestalten.
Eine weitere wichtige Fähigkeit ist die Emotionskompetenz, um sich selbst emotional regulieren zu können und die Mitarbeiter*innen dabei zu unterstützen dasselbe zu tun. Dabei sollte die Führungskraft adäquat mit den eigenen Gefühlen und Emotionen sowie mit denen der anderen umgehen.
Mit Hilfe der Empathiefähigkeit gelingt es, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen, mitzufühlen und Verständnis für die jeweilige Situation aufzubauen. Durch die Kontaktfähigkeit geht die Führungskraft auf andere Menschen zu und macht ihnen Kontaktangebote. Sie sollte dabei Vertrauen in sich selbst und auch in andere Menschen haben. In Verbindung dazu benötigt sie eine starke Teamkompetenz, um ein wertschätzendes Miteinander in der Gemeinschaft aufzubauen und Vertrauen im Hinblick auf die Krise zu schaffen. Im Zuge des Schaffens von Vertrauen hat die Fähigkeit, offen und transparent über die wirtschaftliche Lage und über unangenehme Situationen zu kommunizieren (Kommunikationskompetenz), einen hohen Stellenwert.
Die Aktivitäts- und Handlungskompetenzen unterstützen die Führungskraft dabei, ihr eigenes wirkungsvolles Handeln auszurichten. Führung braucht die Fähigkeit, klare und schnelle Entscheidungen in der Krise zu treffen. Im Zuge der Forschung erhielt die Entscheidungskompetenz einen ebenso hohen Stellenwert wie die Selbstführungskompetenz. Entscheidungen sollten darüber hinaus offen und transparent kommuniziert werden.
In der Krise braucht es Führungskräfte, die eine Richtung vorgeben, Ziele gestalten und die Mitarbeiter*innen auf eine gemeinsame Vision ausrichten. Dazu braucht es starke strategische Fähigkeiten (Strategische Kompetenz) für die Konsolidierung von Zielen und die Vermittlung von Visionen. Die Mitarbeiter*innen sollten Zutrauen in die strategischen Fähigkeiten der Führungskraft haben können, die mit Hilfe dessen Krisenpläne und Ziele entwickelt, um die Krise zu meistern.
In der Krise können unterschiedliche Interessenskonflikte dazu führen, dass die unternehmerischen Ziele aus dem Fokus rücken. Führungskräfte müssen in der Lage sein, die unterschiedlichen Motive auf die gemeinsame Ausrichtung der Vision zu vereinen. Wenn es notwendig ist, sollten sie fragmentierte Visionen wieder neu aufbauen. In Verbindung dazu steht die Ergebniskompetenz, die eine klare Fokussierung auf die gesetzten Ziele gibt.
Es bedarf einer Verantwortungskompetenz, um wichtige Themen in der Krise verantwortungsvoll zu übernehmen und voranzutreiben. Mit einer starken Krisenkompetenz sollte die Führungskraft Spannungen entschärfen, die Situation im Griff haben, eine Vorbildfunktion einnehmen und keine Scheu haben, Mitarbeiter*innen um Unterstützung zu bitten. Sie sollte einen guten Krisen-Aktionsplan erarbeiten, der verschiedene Alternativen zur Bewältigung der Krise aufzeigt. Die Innovationsfähigkeit hilft dabei, in Krisensituationen durch kreatives Experimentieren ungewöhnliche Lösungen für die Probleme in der Krise zu finden.
Eine Überraschung im Zuge der Forschung war es, dass digitale Kompetenzen nicht als erfolgsfördernd eingestuft wurden. Das Modell zeigt deutlich, dass vielmehr die zwischenmenschlichen Fähigkeiten einer Führungskraft in den Fokus rücken und es weniger um die fachlichen Kompetenzen geht.