Oft unterschätzen Manager die Fluchtreflexe, die manche Entscheidung beim Mitarbeiter auslöst. Damit gefährden sie die eigenen Projekte, warnt das Team vom Systemischen Institut Hamburg und verrät, wie man den Mitarbeitern die Angst nimmt.

Unsere größten Triebfedern im Alltag sind Bedürfnisse wie Hunger, Durst, Müdigkeit: Irgendwann sind sie so stark, dass es unaufschiebbar ist, ihnen nachzukommen. Die Hirnforschung gibt interessante Hinweise, dass im Arbeitsalltag ähnlich starke Bedürfnisse eine Rolle spielen, ohne dass wir uns dessen immer bewusst wären.

Der Körper reagiert nämlich auch bei sozialen Interaktionen reflexartig. Und da gibt es nur zwei Richtungen: Entweder, eine Interaktion wird als Belohnung wahrgenommen und löst die entsprechend verbundenen Schaltkreise aus – davon wollen wir mehr. Oder wir empfinden eine Situation als Bedrohung – dann werden Fluchtreflexe und Vermeidungsverhalten ausgelöst.

Ein Beispiel: Kündigt ein Vorgesetzter ein Feedbackgespräch an, dann ist für viele Arbeitnehmer die körperliche Reaktion die gleiche, als würden sie in stockfinsterer Nacht ein unbekanntes Geräusch hören.

Jede Führungsperson in einem Unternehmen, die etwas verändern möchte, sollte daher alles minimieren, was Bedrohungsgefühle auslöst. Sonst ergreifen die Mitarbeiter die Flucht, und sei es nur im übertragenen Sinn. Ihnen fehlt dann die nötige grundsätzliche Offenheit für Veränderungen, Projekte drohen zu scheitern. Leider wird bei vielen großen Umbauprozessen genau das übersehen.

Großer Umbau, große Sorgen

Mit dem Problem beschäftigen sich Neuroleadership-Modelle von Theo Peters und Argang Ghadiri oder das „Scarf“-Modell der Hirnforschergruppe um David Rock. Besonders das „Scarf“-Modell liefert viele praktische Hinweise, um Menschen für eine Sache zu begeistern. Für die wichtigste Botschaft genügt es, „Scarf“ zu buchstabieren:

  • Das S in „Scarf“ steht für Status und meint die wahrgenommene Bedeutung, die eine Person in einer Gruppe hat. Statusbedrohung löst im Gehirn die gleichen Vorgänge wie eine körperliche Bedrohung aus. Klar, dass man so weniger Ideen hat, weniger leistungsbereit ist und Veränderung scheut.
  • C steht für certainty und bezieht sich darauf, wie sicher Mitarbeitern die Zukunft erscheint. Rituale und Wiederholungen schaffen Sicherheit. Aber was heißt das für ein Veränderungsprojekt, dessen Sinn ja ist, Altes zugunsten von Neuem aufzubrechen? Nach dem „Scarf“-Modell muss man dann zumindest für Sicherheit und Transparenz im Vorgehen sorgen, wenn schon die inhaltliche Sicherheit fehlt.
  • A steht für Autonomie, dafür, Herr der eigenen Lage zu sein. Wenn in Veränderungsprojekten Entscheidungen von oben nach unten durchregiert werden, ohne dass die Betroffenen beteiligt werden, löst auch das leicht Fluchtreflexe aus.
  • R steht für relatedness und beschreibt die soziale Verbundenheit innerhalb eines Teams, die Vertrauen und Wohlbefinden schafft. In Veränderungsprojekten gilt es deshalb, den Austausch der Mitarbeiter untereinander zu fördern, das Entdecken von Gemeinsamkeiten, etwa in Workshops, informellen Treffen oder Diskussionsrunden.
  • F steht für Fairness: Fehlende Fairness wird als Bedrohung wahrgenommen. Gerade wenn harte Schnitte notwendig erscheinen, ist Fairness unabdingbar. Dabei geht es nicht nur darum, die Opfer einer Umstrukturierung nicht unnötig zu belasten. Behandelt man sie unfair, können sich auch die Gewinner des Umbaus im Unternehmen nicht mehr sicher fühlen.

Quelle: SPIEGEL Online