Wir haben mit Laura Vormann, Diplom-Psychologin, Systemische Beraterin und Coach, über ihre Forschung zur emotionalen Kompetenz in der Lehre von systemischer Organisationsberatung gesprochen.

Dafür interviewte sie Ende 2019 insgesamt 17 Berater*innen, die in Aus- und Weiterbildungsinstituten für systemische Beratung angehende Coaches ausbilden. Darunter waren Viktoria Dreher, Leiterin des Systemischen Instituts Hamburg, und Dr. Rüdiger Klepsch, beide systemische Berater*innen in Ausbildungsfunktion. Anhand dieser Studie wurde exploriert, inwiefern emotionale Kompetenz bedeutsam im systemischen Business-Coaching ist und mit welchen Methoden und Haltungen diese Kompetenz vermittelt und ausgebildet wird. Viktoria Dreher, Geschäftsführerin des Systemischen Instituts Hamburg, befragte Frau Vormann nach Abschluss ihrer Masterarbeit.

Frau Vormann, warum haben Sie sich für das Thema entschieden? Was hat Sie daran begeistert?

Systemische Organisationsberatung ist als Dienstleistung zunehmend in den Unternehmen gefragt und kann nachhaltige Lösungen für alle Beteiligten generieren. Demzufolge ist die Aus- und Weiterbildung von systemischen Berater*innen ein Kernelement in der Gestaltung erfolgreicher Beratung der Zukunft. Emotionale Kompetenz von Coaches ist entscheidend in der Beziehungs- und Prozessgestaltung im Coach- Klient*innen-System und sollte aktiv in der Lehre trainiert werden, sodass emotional kompetente Coaches erfolgreiche Beratungsarbeit leisten können. Da ich selbst eine systemische Ausbildung absolviert habe, interessierte mich insbesondere die Realität emotionaler Kompetenzvermittlung in verschiedenen systemischen Lehrinstituten.

Welche Kriterien lagen der Auswahl der systemischen Lehrinstitute zugrunde?
Das Systemische Institut Hamburg ist ein von der ECA, einem europäischen Berufsverband für Coaches, lizenziertes und akkreditiertes Lehrinstitut. Die Dozent*innen vom Institut sind fundiert ausgebildete Diplom-Psycholog*innen, zertifizierte Coaches & Lehrdozent*innen und systemische Berater*innen mit langjähriger Erfahrung nicht nur in der Lehre, sondern auch in der Wirtschaft. Mir war es wichtig, dass die ausgewählten Lehrinstitute und deren Dozent*innen die Qualität der Coaching-ausbildung kontinuierlich überprüfen und evaluieren lassen.

Was ist der Untersuchungsgegenstand Ihrer Forschung?

Anhand von Expert*innen-Interviews mit 17 systemischen Organisationsberater*innen in der Lehre wurde exploriert, wie emotionale Kompetenz in Coachingausbildungen erlebt und gefördert wird. Meine Hypothese innerhalb der Untersuchung bezog sich auf die starke Rolle von emotionaler Kompetenz in Coachingkontexten und damit in der betonten Bedeutsamkeit dieser Kompetenzvermittlung auch in den Ausbildungsformaten. Den Forschungsfragen entsprechend wurde untersucht, welche Bedeutung emotionale Kompetenz für Berater*innen, ihre Klient*innen und den Beratungsprozess darstellt und wie aktuell die Integration von emotionalem Kompetenzerwerb in Lehrinstituten systemischer Organisationsberatung erfolgt. Daraus konnten Anforderungen an das Businesscoaching abgeleitet werden, die zukünftig eine gezielte wirksame Vorgehensweise des emotionalen Kompetenztrainings erlauben.

Was waren die Hauptziele Ihrer Arbeit?

Hauptziel dieser Arbeit war es, die Realität der emotionalen Kompetenzvermittlung in Ausbildungsinstituten durch die Einschätzungen der Lehrenden abzubilden, um eine Forschungsgrundlage für präzise Maßnahmen im Bereich der integrierten Kompetenzvermittlung systemischer Aus- und Weiterbildungen anzustoßen und Coachingausbildungen zu professionalisieren.

Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Erkenntnisse in dem von Ihnen erforschten Feld?

Für Coaching als beratungsbezogene Dienstleistung ist es sehr bedeutsam, dass Coaches sich mit den emotionalen Anforderungen ihrer Klient*innen im Coachingprozess beschäftigen. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse kann ich schließlich festhalten, dass emotionale Kompetenz als eine der wesentlichsten Komponenten in (Business-) Coachingprozessen anzuerkennen ist, weil sie die Beziehungsgestaltung, Prozesssteuerung sowie den Coachingerfolg positiv beeinflusst. Durch eine reflektierte Auseinandersetzung innerhalb systemischer Coachingausbildungen, kann die eigene emotionale Kompetenz verstärkt werden. Für besonders erwähnenswert halte ich die Erlernbarkeit und Entwicklungsfähigkeit emotionaler Kompetenzen. Sie werden insbesondere in supervisorisch und meta-perspektivisch gestalteter Selbsterfahrung für Teilnehmer*innen erlebbar. Zur Entwicklung von emotionalen Kompetenzen eignen sich methodenplurale, ganzheitliche Lern-elemente, die in kognitiver, emotionaler und aktionaler Dimension erlebensrelevante Akzente setzen.

Was waren die Implikationen der Arbeit für den aktuellen Stand der Forschung und die praktische Anwendbarkeit?

Diese Studie zeigte vor allem die hohe Bedeutsamkeit von emotionaler Kompetenz im Businesscoaching sowie die derzeitige Anwendung von Kompetenzvermittlung in Aus- und Weiterbildung. Die Entwicklung der Selbstkompetenz eines Coaches entstammt einem Wechselspiel aus kognitiven, emotionalen und aktionalen Lernprozessen. Es stellt sich nun die Frage, wie Empirie dazu beitragen kann, diese Lernmechanismen in ihrer Dreidimensionalität zu erklären. Das Forschungsdesiderat im Bereich der integrierten Kompetenzvermittlung formuliert den Anspruch, die Lernmechanismen als Zielgrößen für die Entwicklung der gewünschten beruflichen Handlungskompetenz präziser zu beschreiben.

Sie sprachen zuvor über Anforderungen an das Businesscoaching, die aus Ihrer Forschungsarbeit abgeleitet werden. Welche sind das?

Lassen Sie es mich holzschnittartig zusammenfassen. Ohne Beziehung kein erfolgreiches Coaching! Das ist bekannt. Gleichwohl wird häufig zu wenig Zeit darauf verwandt zu trainieren, wie man Beziehung schnell herstellt. Beziehung baut sich über viele Kanäle auf, am schnellsten jedoch über Empathie. Daraus entsteht Sympathie, die es eben auch in organisationalen Beratungs-kontexten braucht, um gemeinsam miteinander in Kontakt zu sein, an mitunter schwierigen Themen der Klient*innen zu arbeiten und wirksames Coaching zu implementieren.

Welche Anregungen und Empfehlungen halten Sie bezüglich Ihrer Erkenntnisse bereit, die für Unternehmen und für die „Nach-einer-Coachingausbildung-Suchenden“ von Interesse sein mögen?

Coaching ist in einer Welt präsent, in der stetiges Lernen, Wachstum und Entwicklung zum Menschsein dazugehören und subjektive Erkenntnisse und die daraus erwachsenden Handlungsimpulse auf der kognitiven, emotionalen oder aktionalen Ebene geschehen. Daher ist der Einbezug dieser Ebenen in Aus- und Weiterbildung, die sich auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen beziehen und eine Ganzheitlichkeit in der Arbeitswelt zu ihrem ökonomischen Vorteil zu nutzen verstehen. Emotionalität ist in einem oft rational-kognitiv geprägten Arbeits- und Organisationsumfeld als eine Möglichkeit anzusehen, der volatilen und komplexen Welt konstruktiv zu begegnen. Systemische Organisationsberatung muss es sich perspektivisch mehr zur Aufgabe machen, emotional kompetent auf Ambivalenzen und Dynamiken in solchen Systemen zu reagieren und mit ihnen Lösungen zu erarbeiten. Die Welt ist ja auch tatsächlich volatil! Alle Unregelmäßigkeiten, die momentan im Zuge der COVID-19 Pandemie in all unseren Systemen auftreten sind da ein eingängiges Beispiel: „wir sind alle unfassbar emotionalisiert, von einem Gegner, den wir nicht sehen können“ (Prof. Dr. Thorsten Hennig-Thurau, Professor für Marketing und Medien, in der ZEIT Nr. 14, 2020). Emotionale Kompetenz eröffnet meiner Meinung nach ein „Spielfeld“ in der Beratung, das sowohl rationale als auch emotionale Bedürfnisse von Klient*innen in den Fokus bringen kann, sodass daraus fruchtbare Impulse erkenntlich und nützlich werden. Aus diesem Grund darf und muss in die Sensibilisierung und Entwicklung von emotionalen Kompetenzen der Coaches bereits in ihrer Ausbildung investiert werden. Allen systemisch-versierten und an einer Aus- und Weiterbildung Interessierten wünsche ich, dass sie ihre Expertise und emotionale Kompetenz in einem Institut entwickeln können, welches auf dessen Thematisierung Wert legt. Jede/r von uns wird in Beratung und Coaching, in Klinik oder Wirtschaft, privat oder beruflich, aus den Qualitäten emotionaler Kompetenz schöpfen können, um so die Menschen und Systeme nachhaltig unterstützen zu können.

Frau Vormann, vielen Dank für das Interview!

Hamburg, April 2020