Ein Kunde zickt, ein Projekt scheitert – jetzt ist guter Rat billig. Die sogenannte kollegiale Beratung ist ein Regelwerk, mit dem Abteilungen selbst den Weg aus einer verfahrenen Lage finden.
Warum immer gleich einen Berater von außen holen? Oft können Kollegen viel sinnvollere Ratschläge geben, vor allem, wenn es um Probleme ihres beruflichen Alltags geht. Dafür gibt es sogar ein strukturiertes Verfahren. Der Name ist etwas dröge: kollegiale Beratung. Doch lassen Sie sich davon nicht abschrecken, es ist eine sehr wirksame und zudem sehr preiswerte Form der Problembewältigung mit viel Gruppendynamik.
Es handelt sich um eine nicht ganz alltägliche Beratung, sondern um einen Gesprächsablauf, der sehr viel Kommunikationsdisziplin erfordert und sich über mehrere Phasen erstreckt. Wichtig ist, dass sich alle Kollegen an die Spielregeln halten.
Es wird eine Gruppe aus sechs bis acht Arbeitskollegen gebildet. Am besten funktioniert diese kollegiale Beratung, wenn die Teilnehmer unterschiedlich sind, menschlich und fachlich.
Am Anfang steht eine genaue Klärung, welches Anliegen, welches Problem einer der Teilnehmer einbringt. Das kann ein Problem mit einem Kunden sein, die Aufarbeitung eines gescheiterten Projekts oder der neue Personalzuschnitt einer Abteilung. Dieser Einstieg ist wichtig und sollte sehr sorgfältig vorgenommen werden. Denn ist die Richtung der Beratung nicht klar, gilt: Wer kein Ziel hat, kommt nirgendwo an. Ist das Anliegen geklärt, wird ein Moderator bestimmt, der durch die nächsten ein bis anderthalb Stunden der kollegialen Beratung führt.
Phase 1: Problem beschreiben
Der Ratsuchende stellt zuerst sein Problem dar. Dabei wird er nicht unterbrochen, höchstens durch reine Verständnisfragen. Diese Phase nimmt fünf bis sieben Minuten ein.
Phase 2: Fragen
Anschließend können von den beratenden Kollegen Fragen gestellt werden – alles was ihnen zum dargestellten Problem einfällt. Der Ratsuchende antwortet, aber die Antworten werden nicht etwa diskutiert, sondern zunächst nur zur Kenntnis genommen. Der Moderator achtet darauf, dass alle genau zuhören, nicht aber ihre Antworten gewertet werden. Diese Fragenphase nimmt ungefähr 15 Minuten in Anspruch. Nach einigen Fragen entwickeln sich bei jedem der Berater Ideen und Annahmen darüber, wie das Anliegen mit der Person zusammenhängt oder wie etwas überhaupt zum Problem wurde. Stellt der Moderator fest, dass dieser Zustand erreicht wurde, dann leitet er zur nächsten Phase über.
Phase 3: Hypothesen sammeln
Nun kann jeder Hypothesen über die Art des Problems aufstellen. Der Moderator schreibt sie gut sichtbar auf ein Flipchart. Seine Aufgabe ist es zu verhindern, dass zu früh schon Lösungen artikuliert und mit Annahmen vermischt werden. Der Fallgeber muss sich disziplinieren und hört zu, darf aber noch nicht mitmischen. Auch hier sollte die Zeit auf 10 bis 15 Minuten begrenzt werden.
Phase 4: Kernannahmen identifizieren
Jetzt folgt die Phase der Auswahl von Kernannahmen aus Sicht des Ratsuchenden. Hier geht es nicht um Wahrheit, sondern um die Auswahl der Annahmen, die bei ihm die höchste Resonanz auslösen. Die übrigen Annahmen werden vorerst verworfen.
Phase 5: Lösungen
Der Moderator leitet den nächsten Abschnitt ein. Der Fallgeber kann sich wieder zurücklehnen und die Diskussion zur Lösungsfindung beobachten und auf sich wirken lassen. Am Ende der Diskussion stehen Lösungsvorschläge, die der Ratsuchende für sich bewertet. Damit ist der Beratungsprozess eigentlich abgeschlossen.
Phase 6: Flughöhe gewinnen
Für Fortgeschrittene geht es dann noch weiter. Die Berater tauschen sich aus, was sie emotional im Laufe der letzten Stunde erlebt haben. Häufig ereignen sich dann noch einmal Diskussionen, die bisher verdeckte, gefühlige Anteile an der Problemsituation zum Tragen bringen und ganz neue Aspekte zur Lösungsentwicklung hinzufügen. Diese letzte Phase der Lösungsfindung dient dazu, erweiterte Handlungsmöglichkeiten zu finden. Der Ratsuchende nimmt die Vorschläge auf und entscheidet vollkommen eigenständig.
Das Vorgehen ist hocheffektiv. Es muss allerdings eingeübt werden und setzt Vorschussvertrauen voraus: Am besten funktioniert es in einer Gruppe von „Verschworenen“. Aber es ist auch keine Zauberei. Probieren Sie es aus und schildern Sie Ihre Erfahrungen.
Quelle: Spiegel Online